Ein besonderes Gut: Arzneimittel herstellen, bewerben und verkaufen

Allgemein

Warum der beknackte Spruch aus der Fernsehwerbung so wichtig ist und mir als Spitze eines Eisbergs erscheint

„Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker“. Ich glaube, über diesen Satz haben sich schon viele gewundert oder lustig gemacht. Er wirkt ja auch total beknackt am Ende einer Fernsehwerbung. Und dass er meist extra schnell gesprochen wird, um teure Werbesekunden zu sparen, hilft auch nicht dabei. Warum machen die Firmen das, fragt man sich, und kann sich selbst die Antwort geben: weil sie müssen.

Dieser Satz ist die Spitze eines Eisbergs.

Der Spruch ist das, was jedermann mitbekommt von den unfassbar vielen Gesetzen und Regelungen, denen man unterliegt, wenn man in Deutschland Arzneimittel herstellen oder verkaufen will. Bei Print-Werbung etwa in Zeitschriften sieht man einerseits etwas mehr davon, andererseits ist es leichter, darüber hinweg zu gehen: Da muss auch noch der so genannte Pflichttext (mit der Zusammensetzung, den Anwendungsgebieten, eventuellen Warnhinweisen uvm.) mit abgedruckt werden, ein meist in schwarzer Schrift auf weißem Grund formuliertes Winziggedrucktes. Natürlich darf in der Arzneimittelwerbung nur das kommuniziert werden, was bewiesen ist. Sie können davon ausgehen, dass jeder einzelne Satz, nein, jedes Wort in so einem Werbespot genauestens abgeklopft wurde: geht es oder nicht? Für rezeptpflichtige Arzneimittel zu werben ist – anders als etwa in den USA – in Laienpresse, Fernsehen und Rundfunk gleich ganz verboten.

Der Grund für diese Regelungen ist immer der Schutz des Verbrauchers.

Der Gesetzgeber sieht es grob gesagt so: Der Laie hat keine Möglichkeit, die Risiken und Nebenwirkungen auf Basis der Werbung zu erfassen. Es liegt in der Natur der Werbung, dass sie nur die guten Seiten eines Produkts darstellt. Aber Arzneimittel sind ein besonderes Gut, sie haben immer auch schlechte Seiten, und sei es, dass sie mit dem Risiko daherkommen, gar nichts zu bewirken. Darum darf nicht geworben werden, ohne zumindest zu sagen, dass es Risiken und Nebenwirkungen gibt, und wo man mehr darüber erfährt. Journalisten und Blogger dagegen dürfen über Arzneimittel schreiben, wie sie wollen. Die dürfen rein rechtlich so Sachen sagen wie „XY ist super gegen Z.“, selbst wenn es nicht bewiesen (sondern nur ihre Überzeugung) ist. Auch darin liegt eine große Verantwortung!

Soweit zur Spitze des Eisbergs. Dicht unter der Wasseroberfläche ist zum Beispiel die zwei Ordner dicke Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO), die sieht man auch noch durchschimmern. Nämlich zum Beispiel dann, wenn man spätabends oder sonntags ein Arzneimittel braucht. Paragraph 23 verpflichtet zur ständigen Dienstbereitschaft. Not- bzw. Nachtdienste inklusive, während derer sich „der Apothekenleiter oder eine vertretungsberechtigte Person in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Apothekenbetriebsräumen aufhält und jederzeit erreichbar ist“. Abweichungen muss die zuständige Behörde genehmigen, und das tut sie nur, wenn die Arzneimittelversorgung durch eine andere Apotheke sichergestellt ist. Im Übrigen darf man seinen Laden als Apotheker auch werktags nicht vor 18.30 Uhr schließen, und nicht nach 8 Uhr öffnen, auch das steht in der ApBetrO. Paragraph 4 regelt die Räumlichkeiten: Die Apotheke „muss mindestens aus einer Offizin, einem Laboratorium, ausreichendem Lagerraum und einem Nachtdienstzimmer bestehen. Das Laboratorium muss mit einem Abzug mit Absaugvorrichtung oder mit einer entsprechenden Einrichtung, die die gleiche Funktion erfüllt, ausgestattet sein. Die Grundfläche der genannten Betriebsräume muss mindestens 110 Quadratmeter betragen.“

In der Apothekenbetriebsordnung gibt es exakte Regelungen für alles.

Vom Personal (es muss zum Beispiel immer ein Apotheker anwesend sein) über die vorzunehmenden Prüfungen jeder Teelieferung und jeder Salbengrundlage, die ankommt (und deren Dokumentation per Prüfprotokoll!) bis zu bestimmten Arzneimitteln, die immer vorrätig sein müssen – all das legt die ApBetrO fest. Und in regelmäßigen Abständen kommt die Behörde zur so genannten Revision und guckt, ob all diese Regelungen auch umgesetzt werden. Damit wäre auch die Frage beantwortet, warum eine Tube Zahnpasta in der Apotheke teurer ist als in Drogerie oder Supermarkt.

Von den Regelungen zur Arzneimittelherstellung bekommt man als Verbraucher dagegen für gewöhnlich gar nichts mit.

In Pharmafabriken gilt die GMP, die Gute Herstellungspraxis oder Good Manufacturing Practice. Ihre Vorschriften sind die Basis für Herstellung von Arzneimitteln, eine Betriebsordnung für pharmazeutische Hersteller. Verlassen Sie sich drauf, dass auch hier alles geregelt ist: Von der Ausbildung der Herstellungsleiter über die Räumlichkeiten, wie oft im Verlauf der Produktion geprüft werden muss, ob auch alles läuft wie geplant, und wie man Verwechselungen ausschließt. Alles mit entsprechender Dokumentation, ist ja klar. Es geht immer darum, Herstellungsfehlern vorzubeugen, weil natürlich auf keinen Fall zu viel oder zu wenig Wirkstoff enthalten sein darf, um nur einen möglichen Problembereich mal zu nennen. Jedes Unternehmen, das Arzneimittel herstellt, ist verpflichtet, nach GMP zu arbeiten, und auch das wird regelmäßig behördlich überprüft. Wenn die Inspektoren Mängel finden, droht im schlechtesten Fall, dass die Produkte aus dieser Fabrik aus dem Verkehr gezogen werden. Klar, dass die GMP auch für die Hersteller von Wirkstoffen gilt, und vermutlich brauche ich gar nicht mehr zu erwähnen, dass ein pharmazeutischer Hersteller seine Wirkstoffe nur bei Unternehmen einkaufen darf, die nach GMP produzieren, und nicht billiges Material aus der chemischen Industrie.

Das aller-, aller- aufwändigste ist aber vermutlich die Zulassung.

Um ein Arzneimittel verkaufen zu dürfen, bedarf es einer Zulassung. Dazu muss das herstellende Unternehmen bei der zuständigen Behörde (in Deutschland ist es das BfArm, das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, vieles läuft aber über die zentrale europäische Behörde EMA, die European Medicines Agency mit Sitz in London und bald in Amsterdam) ein sogenanntes Dossier einreichen. Es belegt die Wirksamkeit, die Sicherheit und die Qualität des Arzneimittels bei einer bestimmten Indikation (also etwa bei mittelschweren Schmerzen). Im Kapitel zur Sicherheit geht es um die Risiken, die das Arzneimittel haben kann. Und im Kapitel zur Qualität muss der Hersteller zeigen, wie er gewährleisten will, dass das Arzneimittel immer genauso hergestellt wird wie in den klinischen Studien und exakt dieselben Eigenschaften hat. Ein Dossier für ein Arzneimittel mit einem ganz neuen Wirkstoff ist locker 200.000 Seiten dick. In das Dossier gehen Daten aus Tierversuchen, aus klinischen Studien (das sind Versuche mit gesunden Probanden, später auch mit Patienten) sowie aus Versuchen im Reagenzglas ein. Natürlich muss auch der angedachte Beipackzettel mit eingerecht werden. Auf Basis dieses Dossiers entscheidet der Staat, ob das Arzneimittel mehr nutzt als schadet. Wenn ja, erhält es die Zulassung.

Ich könnte hier noch seitenlang weitermachen, und wer mehr wissen will, sollte das Buch „Arzneimittel verstehen“ von Robert Schultz-Heienbrok lesen, das 2018 bei Springer erschienen ist und sich wirklich prima liest (ist an Laien gerichtet und locker erzählt). Aber mir geht es hier nur darum, Sie mal auf die Eismassen aufmerksam zu machen, mit denen wir es hier zu tun haben. Während von frei flottierenden Eisbergen allerdings eine Gefahr für den Schiffsverkehr ausgeht, ist es hier genau umgekehrt: Der ganze für den Verbraucher weitgehend unsichtbare Berg ist nur dazu da, sicherzustellen, dass wir nützliche Arzneimittel bekommen und bestmöglich damit umgehen. Insofern finde ich es total super, dass das in Deutschland und Europa alles so genau geregelt ist. Ich bin ein Fan davon, dass der Staat den Verbraucher schützt. Auch wenn im Alltag in Vergessenheit gerät, dass Arzneimittel eben auch Risiken haben, und der ganze Aufriss deswegen manchmal lächerlich erscheint, eben wie der Satz am Ende der Fernsehwerbung.

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