Meditieren ist Medizin

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Meditieren ist Medizin

Passend zur Saison hier was Besinnliches. Ein Interview, das ich vor einigen Jahren mit der Neurowissenschaftlerin, Achtsamkeitstrainerin und Yogalehrerin Britta Hölzel über das Meditieren führen durfte. Sie hat die Wirkung von Meditation auf das Gehirn schon für ihre Doktorarbeit erforscht und viele Jahre Erfahrung damit – nicht nur als Wissenschaftlerin, sondern auch ganz praktisch. Das Gespräch mit ihr war eines der bereicherndsten Interviews, die ich je hatte. Zum Beispiel war ich bis dahin der Meinung, dass ich die Summe aus meinen Gedanken und Gefühlen bin… ein Irrtum. Aber lesen Sie selbst.

Auch wenn der Text schon 2013 in der BRIGITTE erschienen ist und darum nicht mehr in jedem Sinn aktuell: Das Verfahren hat kein bisschen an Faszination verloren und ich kann nur jedem ans Herz legen, sich einmal damit zu beschäftigen (oben zu sehen: mein Meditationskissen).

ICH: Meditieren ist nichts für Feiglinge’ sagt Jon Kabat-Zinn, der westliche Meditations-Pionier: Wieso?

DR. BRITTA HÖLZEL: Weil die Begegnung mit den eigenen Gefühlen und Gedanken nicht immer angenehm ist. Das kann erst einmal schmerzhaft sein, etwa wenn Menschen plötzlich klar wird, wie viel Anspannung wirklich da ist, wie erschöpft sie tatsächlich sind und wie sehr sie sich betäubt haben – mit Fernsehen, mit Alkohol oder mit anderen Strategien.

Warum sollte ich es dann tun?

Weil man nach und nach die Fähigkeit erwirbt, anders mit Belastungen umzugehen. Man lernt sich selbst besser kennen und mit den eigenen Erfahrungen in eine freundlichere Beziehung zu treten. Und dadurch besser mit Stress umzugehen, aber auch zum Beispiel mit Schmerzen. Das tut jedem gut.

Was genau passiert mit meinem Gehirn, wenn ich meditiere?

Die Forschungen stehen da noch relativ am Anfang. Erste Studien haben aber gezeigt, dass sich in einigen Bereichen des Gehirns die Dichte der grauen Substanz – sie besteht aus den Zellkörpern der Nerven – erhöht. Das deutet darauf hin, dass sich diese Areale umstrukturiert haben, verkümmerte Nervenzellen möglicherweise wieder größer geworden oder neue Verbindungen gewachsen sind. Die kognitive Belastbarkeit – wie gut wir denken und funktionieren – kann also wieder zunehmen. Zum Beispiel verändert sich der so genannte Hippocampus, der für Lernen und Gedächtnis wichtig ist. Kürzlich zeigte eine Studie dann auch, dass Meditation die Kreativität steigert.

Gesünder, leistungsfähiger, kreativer: Ist Meditieren das neue Joggen, die nächste Welle der Selbstoptimierung?

Es besteht schon die Gefahr, dass es so instrumentalisiert wird. Aber wenn man Meditation wirklich ernst nimmt, wird schnell klar: Es geht nicht darum, sich selbst zu verbessern, sondern darum, ein glücklicheres und erfüllteres Leben zu leben. Und wenn das damit einhergeht, dass man leistungsfähiger wird, ist das doch super.

Es heißt, in den USA müssten sich Manager schon rechtfertigen, wenn sie nicht meditieren.

Ja? Ist das so? Auf jeden Fall ist Meditation dort ein großer Trend und schon viel verbreiteter. Es ist auch leichter zugänglich als hier bei uns: Es gibt zum Beispiel vielerorts Meditationszentren, so wie es hier Yoga-Studios gibt. Dazu kommen zahllose Angebote etwa an Schulen, Universitäten, Kliniken und auch in Unternehmen in der freien Wirtschaft.

Woher kommt der Trend zur Besinnung, warum boomen sowohl die Kurse als auch das Forschungsgebiet?

Ich denke, so hektisch, wie wir heute leben, ist eine große Sehnsucht da, innezuhalten. Außerdem gibt es seit mindestens zehn Jahren verbesserte technische Methoden, Veränderungen im Gehirn und damit die Wirkung von Meditation auch bildlich darzustellen. Das hat den Trend zusätzlich befördert.

Sie selbst haben das erste Mal in einem indischen Ashram, einem klosterähnlichen hinduistischen Zentrum, meditiert. Wie viel Ideologie, Esoterik und Religion gehört zur Meditation?

Nichts davon steckt zwangsläufig darin. Meditation funktioniert auch ohne Räucherstäbchen, die einem den Blick vernebeln. Es geht im Gegenteil darum, klarer zu sehen. Achtsamkeit trainiert die emotionale Kompetenz, man wird authentischer.

Und das, indem man sich einfach hinsetzt und atmet?

Ja, im Prinzip ist es nur das. Allerdings versuchen Sie dabei, sich der Empfindungen des Augenblicks gewahr zu sein. Es geht darum, die Aufmerksamkeit immer wieder zum gegenwärtigen Moment zurückzubringen. Und die Körperempfindungen, Gedanken und Gefühle, die man dann wahrnimmt, nicht zu bewerten, sondern sie einfach anzunehmen, indem man ihnen mit interessierter Aufmerksamkeit begegnet. Das nennt man dann achtsam sein.

Ist das wirklich so simpel?

Ja und nein. Wer es einmal probiert, weiß, wie schnell die Aufmerksamkeit abdriftet zur To-do-Liste oder zu dem Gespräch mit dem Kollegen am Vormittag. Auch nach über 15 Jahren finde ich mich allzu oft bei meinem nächsten Projekt wieder oder beim Gedanken, dass ich einen Anruf erledigen muss.

Auch ein Profi wie Sie kann also Gedanken und Emotionen nicht einfach abschalten?

Nein. Aber darum geht es auch nicht. Was zählt, ist der Prozess, immer wieder zur Empfindung des gegenwärtigen Augenblicks zurückzukehren. Und wenn es tausend Mal ist.

Gibt es denn noch andere Methoden der Meditation?

Sehr viele sogar, und längst nicht alle finden im Sitzen statt. Man kann auch im Gehen meditieren bzw. achtsam sein – und, genau genommen, bei allem, was man tut. Daneben gibt es auch Meditationsformen, bei denen die Wahrnehmung der eigenen Gedanken und Gefühle nicht im Vordergrund steht, sondern die Konzentration auf ein Bild oder einen Ton.

Meditieren wirkt also sehr positiv. Kann es denn auch schaden?

In manchen Fällen ist Vorsicht angebracht. Es kann zum Beispiel sein, dass ein Trauma durch das Gewahrwerden der eigenen Gedanken und Gefühle aufbricht. Traumapatienten sollten deswegen mit therapeutischer Begleitung meditieren. Das Gleiche gilt zum Beispiel bei Schizophrenie.

In den meisten Studien haben die Teilnehmer ein bestimmtes Achtsamkeitstraining gemacht. Was ist das Besondere daran?

Um die Ergebnisse wissenschaftlicher Studien vergleichen zu können, zählt natürlich die Reproduzierbarkeit. Die so genannten MBSR-(Mindfulness-based Stress Reduction-)Kurse bieten die Möglichkeit, Achtsamkeit nach einer standardisierten Methode zu lernen. Sie laufen über acht Wochen, werden inzwischen auch in praktisch jeder deutschen Stadt angeboten und bestehen unter anderem aus geleiteten Meditationen, Yoga-Abfolgen und Übungen für den Alltag. . .

. . . wie zum Beispiel?

Achtsam essen, also den Geschmack und die Konsistenz jedes Bissens bewusst wahrnehmen. Das ist eine Art Gegenentwurf zum Multitasking, das uns unser hektischer Alltag so oft abverlangt. Das MBSR-Programm hat der amerikanische Medizinprofessor Jon Kabat-Zinn in den 70er Jahren entwickelt, um das Prinzip Achtsamkeit und Meditation von religiöser Aufladung zu befreien und in die westliche Welt zu holen. Viele berichten, dass sie sich ingesamt besser fühlen, wenn sie achtsam leben.

Woran liegt das?

Daran, dass man wieder bewusster mit dem eigenen Leben in Kontakt kommt. Daraus können Dankbarkeit und Wertschätzung entstehen. In Bezug auf Stress ist es so, dass einen beunruhigende Gedanken und Gefühle zum Beispiel nicht mehr so betreffen. Nur wenn man sich ihrer gewahr ist, kann man Abstand zu ihnen gewinnen. Man begreift: Das ist bloß ein Gedanke, ein Gefühl, und beides vergeht. Das bin nicht ich.

Aber ich bin doch immer die Summe meiner Gedanken, Gefühle und Handlungen.

Und das ist das typische Missverständnis. Ich würde eher sagen, ich bin das Bewusstsein über all diese Dinge. Wie wir die Welt erleben und wie wir reagieren, hat viel damit zu tun, welche Voraussetzungen, welches Vorwissen, welche Geschichte wir mitbringen. Und wenn ich das erkenne, habe ich plötzlich die Freiheit, nicht mehr nach dem alten Muster zu handeln, sondern nach und nach zu lernen, wie ich mich so verhalte, dass es besser für mich ist.

Ist man dadurch auch gnädiger mit sich selbst?

Unbedingt! Genau darum geht es bei der Meditationspraxis. Mit der Achtsamkeit lege ich den Boden dafür, dass liebevolle Güte und Selbstfürsorge entstehen können. Den meisten von uns kann es sehr gut tun, mehr Selbstmitgefühl zu entwickeln. Häufig sind wir in der westlichen Welt sehr streng mit uns selbst.

Selbstmitgefühl, Selbstfürsorge. . . Ist Meditation am Ende ein schöneres Wort für Egoismus?

Absolut nicht. Ganz im Gegenteil: In dem Moment, in dem man sich selbst liebevoller begegnet, begegnet man auch der restlichen Welt liebevoller und ist eher in der Lage, die guten Seiten zu sehen.

Man setzt also die rosa Brille auf und träumt sich in eine bessere Welt?

Nein, genau das ist es nicht. Vielmehr ist es die Chance, zu erkennen, was alles schon gut ist in meinem Leben. Indem ich meine Umgebung einfach so sehe, wie sie ist – ganz ohne die Geschichten, die uns der eigene Geist darüber erzählt, was wir noch alles tun und haben sollten. So ist es Menschen möglich, den Job, den Partner, die Kinder mit anderen Augen und mit mehr Wertschätzung zu betrachten.

Das heißt, mit Meditieren kann ich selbst beeinflussen, wie glücklich und zufrieden ich bin?


Ja. Wir können entscheiden, wie wir im Leben stehen möchten. So gesehen ist Achtsamkeit die Demokratisierung der Chance auf Glück. Jeder kann es, man braucht nichts dafür als etwas Zeit.

Was bewiesen ist

In den letzten Jahren sind mehr wissenschaftliche Arbeiten zu Meditation veröffentlicht worden, als in den vier Jahrzehnten davor. Hier einige Highlights der Ergebnisse:

– Stress: Ein achtwöchige MBSR-Kurs mindert Stress ebenso gut wie die etablierten Entspannungsmethoden (etwa Autogenes Training). Dazu reduziert er Ängstlichkeit und Grübeln. Das führt zum Beispiel bei Brustkrebs zu deutlich mehr Lebensqualität.

– Schmerzen: Achtsamkeitstraining ermöglicht eine neue Einstellung zu Dauerschmerz. Hirnscans zeigen, dass unangenehme Reize zwar genauso intensiv, aber dennoch als deutlich weniger belastend wahrgenommen werden. Der Effekt: ein erheblich geringerer Bedarf an Medikamenten.

– Essstörungen: Eine Kombination aus MBSR und Informationen zu Ernährung und Essverhalten reduziert die Zahl der Fressattacken von vier auf 1,5 pro Woche.

– Depressionen: Achtsamkeitstraining in Verbindung mit Verhaltenstherapie senkt bei Patienten, die bereits mindestens drei depressive Episoden hatten, die Wahrscheinlichkeit für einen Rückfall um die Hälfte.

 – Schlafprobleme: Acht Wochen Training bringen bei Schlafproblemen so viel wie jede Nacht Schlaftabletten.

– Asthma: Obwohl das MBSR-Programm keinen Einfluss auf die Lungenfunktion hat, verbessert es signifikant die Lebensqualität der Patienten – und das sogar noch ein Jahr nach Abschluss des Kurses.

–  Anti-Age: Achtsamkeitsmeditation aktiviert das Enzym Telomerase. Im Verlauf des Lebens verkürzen sich die Telomere, bestimmte Strukturen an den Enden der Chromosomen. Telomerase kann sie verlängern. Intensives Meditieren verlangsamt deswegen möglicherweise auch den Alterungsprozess.