Warum Schlafmittel besser sind als ihr Ruf… Ich aber trotzdem keine mehr nehme

Allgemein Was hab ich... und was hilft?

Ich habe viele Jahre lang Schlafmittel genommen. Nicht oft, vielleicht einmal im Monat, aber es war mir immer wichtig, eines da bzw. dabei zuhaben. Meine ganze Studentenzeit hindurch und auch noch als junge Berufstätige: Wenn ich mich lange genug schlaflos im Bett herum gewälzt hatte, nahm ich zehn Milligramm Oxazepam. Manchmal auch nur fünf. Am besten vor ein Uhr nachts, damit man am nächsten Tag nicht so viel davon spürt.

Ich mach das nicht mehr. Ich habe einfach irgendwann damit aufgehört, ohne es mir je vorgenommen zu haben. Das hat mit meinen Kindern zu tun. In den Jahren mit den Babys hatte ich einfach so viele kaputte Nächte, dass ich irgendwann gemerkt habe: Auch mit vier, fünf Stunden Schlaf kann ich dem Tag ins Auge sehen, erst darunter wird es hart. Das hat viel Druck rausgenommen.

Natürlich finde ich es gut, dass ich nichts mehr nehme. Schließlich können Schlafmittel – und das ist nicht die einzige unerwünschte Wirkung – abhängig machen und so dazu beitragen, dass ein Mensch die Kontrolle über sein Leben verliert. Das wird immer wieder intensiv thematisiert, wie etwa in der gut recherchierten ZEIT-Titelgeschichte von Anne Kunze von vor wenigen Jahren. Und das ist ja auch großes Thema.

Aber es ist nicht die ganze Wahrheit. Es gibt Situationen, in denen Schlafmittel hilfreich und sinnvoll sind. Doch die Vorbehalte, die viele Menschen diesen Medikamenten entgegen bringen, sind einfach riesengroß – für manche kommt es schlichtweg nicht infrage, ein Schlafmittel zu nehmen, ganz egal, wie mies ihre Nächte sind und wie schlecht es ihnen damit geht. Zu Unrecht, wie ich finde. Sie sind besser als ihr Ruf.

Das muss ich jetzt gar nicht alles nochmal aufschreiben, denn ich habe dazu mal ein Interview für die Zeitschrift BRIGITTE woman geführt, das in Heft 02/2017 erschienen ist. Da steht eigentlich alles drin, auch wie man Abhängigkeit vermeidet und was man sonst noch tun kann, um besser zu schlafen. Hier ist es:

 

 

Schlaf! Jetzt! Endlich!

 

Es ist eine Qual, sich nachts stundenlang herumzuwälzen. Aber ein Schlafmittel nehmen? Macht das nicht abhängig? Ein Gespräch mit Prof. Göran Hajak: Schlafmediziner, Neurologe, Psychiater und Psychotherapeut an der Universität Regensburg sowie Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Sozialstiftung Bamberg.

 

 

BRIGITTE woman: Schlafmittel haben einen schlechten Ruf. Trotzdem sagen Sie, es werden zu wenig verordnet. Warum?

Prof. Göran Hajak: Weil man nicht behaupten kann, dass schlechter Schlaf übertherapiert wird. Ganz im Gegenteil. Etwa jeder fünfte Deutsche leidet auch mal über längere Episoden unter schlechtem Schlaf. Aber nur ein Bruchteil dieser Menschen nimmt Medikamente dagegen. Dabei ist das erst mal nichts Schlechtes. Das Bild, dass Ärzte unbekümmert Schlafmittel verschreiben, stimmt einfach nicht. Viele sind überaus zurückhaltend, und auch in der Bevölkerung gibt es ein tiefes Misstrauen gegenüber Schlafmitteln.

 

Und das ist problematisch?

Ja, denn wer über längere Zeit – und da reden wir über vier Wochen oder länger – schlecht schläft, der hat dann kein einfaches Beschwerdebild, sondern häufig eine Krankheit, eine Insomnie. Und die kann sehr leicht chronifizieren, also zum Dauerzustand werden. Das ist nicht nur psychisch sehr belastend, eine Insomnie erhöht auch das Risiko, eine ganze Reihe anderer Krankheiten zu bekommen. Wer schlaflos ist, erschöpft sich sehr schnell und entwickelt leicht eine Depression, das Immunsystem fährt runter. Von einigen Krebsarten – zum Beispiel Brustkrebs – weiß man, dass sie unter dauerhaft Schlafgestörten häufiger sind. Wenn es gelingt, mit einem Medikament der Chronifizierung vorzubeugen, ist das eine gute Sache.

 

Aber es heißt doch immer, Schlafmittel würden missbraucht?

Das werden sie auch, aber das ist nur ein Teil der Wahrheit. Es ist so: Die heute üblichen so genannten Z-Substanzen wie Zolpidem oder Zopiclon sind eine Weiterentwicklung der früher eingesetzten Benzodiazepine, sie sind sehr viel spezifischer nur schlafverbessernd, haben also weniger Nebenwirkungen und ein deutlich geringeres Abhängigkeits- und Missbrauchspotential. Das sage ich nicht allein aus meiner Erfahrung heraus, sondern da gibt es gute Metaanalysen klinischer Studien. Menschen, die gern Drogen nehmen, greifen nicht zu Z-Substanzen.

 

Aber alle haben Angst vor Schlafmitteln…

Ja, die psychische Komponente der Abhängigkeit ist vielen zu Recht unbehaglich. Die Diskussion um die Nebenwirkungen ist in meinen Augen aber vor allem ein Zeichen dafür, wie wenig ernst Schlafprobleme insgesamt genommen werden. Wenn Sie beispielsweise einen hohen Blutdruck haben und Sie nehmen Medikamente, diskutiert keiner mit Ihnen über unerwünschte Arzneimittelwirkungen, und die sind teilweise sehr gefährlich. Offenbar akzeptiert jeder Mensch, dass er bei erhöhtem Blutdruck ein Medikament nehmen muss. Dass Schlafstörungen zu Depressionen führen, dass man am Tag Unfälle baut ohne Ende, wenn man nicht geschlafen hat, überlegen wenige.

 

Nach einer schlechten Nacht fällt es auch schwer, den Werktag durchzustehen.

Gestörter Schlaf führt sehr, sehr oft – häufiger als nahezu alle anderen Erkrankungen, das ist belegt – dazu, dass Menschen nicht mehr arbeiten, weil sie nach einer schlechten Nacht nicht in den Dienst gehen. Das heißt, der individuelle und soziale Schaden ist gewaltig. Er führt zwar nicht direkt zum Tode, wie das Herzerkrankungen unter Umständen tun, aber zu längeren Arbeitsausfällen. Das gilt übrigens ähnlich für die Depression, die auch nicht ausreichend ernst genommen wird im Vergleich zu vielen körperlichen Erkrankungen.

 

Wer profitiert von einem Schlafmittel?

Patienten in Krisensituationen, wie etwa im Trauerfall oder unter punktuell großem beruflichem Druck. Vor allem aber Menschen, die mehr als dreimal pro Woche über mindestens vier Wochen hinweg so schwer an Ein- und oder Durchschlafstörungen leiden, dass es ihnen auch tagsüber nicht gut geht und sie weniger leistungsfähig sind. Das ist dann auch der richtige Zeitpunkt, um zum Arzt zu gehen. Die meisten Hausärzte führen eine ausführliche Beratung durch bei gestörtem Schlaf und verschreiben Schlafmittel, wenn sie es für notwendig erachten.

 

Ist es Ihrer Meinung nach leichtfertig, dass man im Krankenhaus fast automatisch ein Schlafmittel bekommt?

Nein, wenn man vorübergehend Schlafmittel unter ärztlicher Kontrolle gibt, schadet man nicht, sondern bewirkt vor allem etwas positives, indem man Stress reduziert. Und die meisten Erkrankungen, derentwegen man im Krankenhaus ist, haben eine große Stresskomponente. Insbesondere gilt das vor Operationen, denn mehr Stress bringt mehr Komplikationen. Aber allein der fremdgesteuerte Tagesablauf in der Klinik ist für viele sehr belastend.

 

Wie kann man eine Abhängigkeit vermeiden?

Wer ein Schlafmittel nur bei Bedarf nimmt oder nur in maximal vier Nächten pro Woche, dessen Bindungsstellen an den Nervenzellen gewöhnen sich nicht an das Medikament. Die Abhängigkeit entsteht überwiegend dadurch, dass sich das Gehirn biologisch drauf einstellt und dann regelrecht nach seiner Dosis schreit, sobald man ohne Tablette schlafen will. Wenn man die Gewöhnung der Nervenzellen vermeidet, ist auch sonst die Gewöhnungswahrscheinlichkeit relativ gering.

 

Seit einigen Jahren kommen Antidepressiva gegen Schlafstörungen zum Einsatz – auch bei psychisch gesunden Menschen?

Ja, dieses Konzept hat nichts mit Depressionstherapie zu tun. Es werden hier auch nicht nur Antidepressiva, sondern generell Psychopharmaka mit beruhigender und schlaffördernder Wirkkomponente verordnet. Der Vorteil dieser Präparate liegt darin: Man kann sie – oft sogar in Tropfenform – sehr niedrig dosieren, man kann oft mit ein, zwei , drei vier fünf Tropfen solcher Medikationen besser schlafen. Dass sie nicht abhängig machen und viele auch gegen Stimmungsveränderungen wirken, sind weitere Vorteile. Auch, dass das Absetzen leichter geht, wenn man sie über Monate und Jahre genommen hat. Der Nachteil ist: Sie haben sehr viel speziellere Nebenwirkungen, können einen trockenen Mund machen, den Augeninnendruck erhöhen oder Herz-Rhythmus-Störungen hervorrufen – alles Dinge, die auch nicht ohne Risiko sind.

 

Warum helfen pflanzliche und andere sanfte Mittel bei Schlafstörungen so gut, obwohl sie in placebokontrollierten Studien oft enttäuschen?

Weil es bei Schlafmitteln einen starken Placeboeffekt gibt, genau wie etwa bei Mitteln gegen Angst, Depressionen und selbst bei schwersten, nachvollziehbaren Schmerzen wie etwa nach einem chirurgischen Eingriff. Also bei allen Beschwerden, die man nicht rein biologisch messen kann, sondern deren Bewertung auch in der Wahrnehmung des Menschen liegt. Hier sprechen mehr als die Hälfte der Betroffenen auf eine Placebobehandlung so gut an, dass es ihnen mindestens um die Hälfte besser geht; wir nennen das Placebo-Response. Es ist darum absolut sinnvoll, es bei Schlafstörungen erst mal mit einem sanften Mittel zu versuchen. Etwa mit Präparaten aus Baldrian, Passionsblume, Melisse und anderen, die bei vielen Menschen zu einer gewissen Entspannung führen können. Das ist eine Möglichkeit, sich abends ein bisschen runterzufahren, ohne gleich in die starke Chemie-Schublade zu greifen.

 

Welche Entspannungsverfahren sind sinnvoll?

Die meisten Schlafgestörten können mit geistig ausgerichteten Entspannungsverfahren weniger anfangen als mit den körperlichen. Ihnen bringen progressive Muskelrelaxation, Atem- oder oder Yogaübungen mehr als eine Gedankenreise. Aber als Einschlafhilfe werden auch sie überschätzt. Denn sie machen nicht schläfrig! Das kennt jeder, der gut Yoga kann: Man ist danach in einer hellen, wachen Klarheit. Das heißt: Die bringen eigentlich mitten in der Nacht fast nichts, mal abgesehen davon, dass man da auch gar nicht fit genug ist, um sie richtig auszuführen. Das sind Verfahren, die man eher am früheren Abend machen sollte, also wenn man schon merkt, ich bin angespannt.

 

Warum ist der frühe Abend so wichtig für die Nachtruhe?

Der frühabendliche Kortisolspiegel sagt die Schlafqualität voraus, das haben Studien gezeigt. Je mehr von dem Stresshormon um 17 Uhr in meinem Körper zirkuliert, desto häufiger wache ich nachts auf. Es ist darum unter Umständen sinnvoller, schon am späten Nachmittag oder frühen Abend etwas Beruhigendes zu tun oder eventuell zu nehmen, als mitten in der Nacht. Oft reicht dann eine niedrigere Dosierung, manchmal bringt die sogar mehr als eine hohe Dosis nachts, mit der man sich in den Schlaf zwingen will.

 

Was sollte man tun, bevor man über Schlafmittel nachdenkt?

Ein Ratgeberbuch lesen, die meisten sind empfehlenswert. Dort erfährt man das wichtigste rund um das Verhalten bei schlechtem Schlaf. Und Verhalten ist das A und O. Da gehört Schlafhygiene dazu – feste Zubettgehzeiten helfen –, aber auch die Stimuluskontrolle, also etwa die Regel, dass man nicht länger als 20 Minuten wach im Bett liegen soll. Denn dann entsteht immer mehr Unruhe. Man soll aufstehen, das Zimmer verlassen, und erst wieder zurückkehren, wenn man meint, schlafen zu können.

 

Fällt das nicht wahnsinnig schwer, morgens um drei Uhr?

Ja, aber es hilft oft, die Nacht hier zu unterbrechen und etwas anderes, schöneres zu tun, statt bis zum Morgen wach im Bett zu liegen. Eine weitere Möglichkeit ist, später am Abend ins Bett zu gehen. Gerade ältere Menschen mit Schlafproblemen legen sich oft weit vor 21 Uhr hin, und wundern sich, wenn sie nachts um drei Uhr wach werden. Wenn man sechs Stunden geschlafen hat, ist die Schlafstörung aber keine richtige Schlafstörung, sondern eine Verhaltensstörung. Das zu erkennen, ist oft sehr entlastend. Beim besser Schlafen hilft Information zum Schlafen und zu den Verhaltensregeln, wie man besser schlafen kann. Einmal im Leben ein Buch hierzu zu lesen ist für jeden Menschen hilfreich.

 

 

Zum Weiterlesen:

Schlaf erfolgreich trainieren: Ein Ratgeber zur Selbsthilfe von Tilmann Müller und Beate Paterok (Hogrefe, 16,95 Euro).

Mein Buch vom guten Schlaf: Endlich wieder richtig schlafen von Jürgen Zulley (Goldmann, 9,95 Euro)

Schlaf gut! Das Geheimnis erholsamer Nachtruhe von Guy Meadows (rororo, 9,99 Euro)

 

 

Hinweis vom 31. August 2018: Diese drei Bücher finde ich immer noch gut. Besonders super finde ich aber die Website der Autoren des ersten Buches: www.schlafgestoert.de. Optisch nicht so ansprechend, aber inhaltlich erstklassig. Jeder, der mit Schlafproblemen zu tun hat, profitiert.

 

Zu Risiken und Nebenwirkungen schauen Sie in mein Impressum (unter „Disclaimer“) und auf die Seite „Über mich und meine Website“.