Medikamente und die Waage: Macht die Pille dick?

Allgemein Apotheken-FAQ

Diese Frage ist mir schon öfters gestellt worden. Und es wäre ja auch ganz logisch: Das weibliche Hormon Östrogen in der Anti-Baby-Pille sorgt nachweislich für Wassereinlagerungen. Und die ebenfalls enthaltenen Gestagene sind natürlicherweise im Körper vor allem dazu da, eine mögliche Schwangerschaft aufrechtzuerhalten – da ist es nun mal wichtig, dass die werdende Mutter nicht vom Fleisch fällt. Trotzdem: Wissenschaftliche Studien, die systematisch nach einem Zusammenhang gesucht haben, fanden ihn nicht. Die renommierte Cochrane Collaboration, ein unabhängiges Netzwerk von Forschern und Ärzten, konnte keinen klaren Beweis erkennen… Die Pille ist also kein Dickmacher. 

Ganz und gar festlegen wollten sich die Forscher aber nicht, denn sie fanden nur wenige Studien, in denen eine Gruppe der Teilnehmer die Pille nahm, während die andere gar nicht verhütete – meist wurden zwei gängige Verhütungsmethoden miteinander vergleichen (und dabei nach dem Gewicht geschaut). Aber mit diesem Studiendesign kann man die obige Frage nicht abschließend beantworten. Was aber sicher richtig ist: Die Pille ist oft unter Verdacht, und oft zu Unrecht, während bei anderen Mitteln keiner auf dem Zettel hat, dass sie die Zahl auf der Waage ganz ordentlich nach oben jubeln können. Einigermaßen neu ist zum Beispiel die Erkenntnis, dass es einen engen Zusammenhang zwischen Mitteln gegen chronische Schmerzen und Übergewicht gibt, wie eine Studie der Universität Newcastle mit über 130.000 Teilnehmern Ende 2017 zeigte. Es ging hier vor allem um Opioide, aber auch um Substanzen wie Gabapentin oder Pregabilin, die bei langanhaltenden Schmerzen durch geschädigte Nerven gegeben werden.

Aber Dickmacher-Medikamente sind auch so ein Thema, zu dem ich hier nicht weit ausholen möchte,  weil ich es vor einiger Zeit bereits ausführlich getan habe. Und zwar für die Zeitschrift BRIGITTE. Der Text ist im April 2014 erschienen, und hier steht er jetzt noch einmal.

Hinweis: Der Psychiater Dr. Markus Wittmann ist inzwischen ärztlicher Direktor an der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am medbo Bezirksklinikum Wöllershof.

 

Die Dickmacher aus der Apotheke

Zu Risiken und Nebenwirkungen sehen Sie bitte auch auf Ihre Waage. . . Denn nicht wenige Medikamente steigern nachweislich das Gewicht

Oft mögen es nur ein oder zwei Kilo mehr sein, seit die Ärztin oder der Arzt die neuen Tabletten verordnet hat. Aber das reicht eben schon, die Hose kneift, man fühlt sich unwohl. „Viele Patienten leiden auch bei einer geringen Gewichtszunahme bereits spürbar“, sagt der Psychiater Dr. Markus Wittmann vom Bezirkskrankenhaus Passau. „Und im Einzelfall ist es eben auch mal viel mehr. Mit dem bei Psychosen eingesetzten Mittel Olanzapin zum Beispiel kann es zu einem Plus von bis zu 50 Kilo kommen.“ Und je mehr Pfunde, desto häufiger ist das Problem längst nicht „nur“ ein kosmetisches: Wer massiv zunimmt, läuft Gefahr, dass der gesamte Stoffwechsel in eine gefährliche Schieflage gerät. Diabetes, Bluthochdruck und ein deutlich erhöhtes Risiko zum Beispiel für einen Herzinfarkt können die Folge sein. „Da muss man sehr aufpassen. Denn wir wollen den Patienten ja kein zweites Problem verschaffen“, so Wittmann.

Psychopharmaka

„In diesem Bereich gibt es einige Hochrisiko- Substanzen“, so Psychiater Wittmann. „Die allermeisten Patienten, die sie auf Dauer bekommen, nehmen zu.“ Allen voran sind das Wirkstoffe wie Olanzapin oder das verwandte Clozapin, das ebenfalls bei Psychosen verordnet wird. Aber auch für viele Antidepressiva ist der Effekt bekannt, wenn auch meist nicht so extrem. Ältere Wirkstoffe wie zum Beispiel Amitryptilin schlagen sich vergleichsweise schnell auf der Waage nieder, neue Antidepressiva (so genannte Serotonin-Wiederaufnahmehemmer oder SSRI) wie das Mittel Paroxetin machen sich dort oft erst nach vielen Wochen bemerkbar.

Und auch Lithium, das oft zusätzlich als so genanntes Phasenprophylaktikum verordnet wird, kann dick machen. Grund für diese Extra- Pfunde ist die Wirkung der Arzneistoffe unter anderem auf die Andockstellen (Rezeptoren) zahlreicher Botenstoffe, allen voran Histamin und Serotonin. Eine besondere Rolle scheint dabei der so genannte Serotonin-5HT2C-Rezeptor zu spielen. Denn wenn er durch die  Medikamente blockiert wird, haben wir mehr Appetit. Einige Mittel, darunter Olanzapin, wirken zudem auf das Hungergefühl, indem sie das so genannte Sättigungshormon Leptin beeinflussen.

Kopfschmerz- und Migränemittel

Um Schmerz-Attacken vorzubeugen, werden unter anderem so genannte Betablocker eingesetzt (etwa Propranolol oder Metoprolol). Sie wurden ursprünglich bei Herzproblemen bzw. Bluthochdruck verordnet, reduzieren aber zudem die Häufigkeit von Kopfschmerz-Episoden. Inzwischen weiß man jedoch, dass Betablocker leider auch auf ungünstige Weise in den Energie- bzw. Glukose- Stoffwechsel eingreifen. Der Körper bildet dann unter anderem weniger Insulin, und das Gewicht kann steigen. Auch weitere vorbeugende Medikamente sind schlecht für die Taille: etwa Valproinsäure, eigentlich ein Mittel gegen Krampfanfälle, und das Antidepressivum Amitryptilin (siehe links). Einer Studie der Universität Padua zufolge können die gängigen Kopfschmerz-Prophylaxemittel innerhalb eines halben Jahres für 1,5 bis 6 Kilo mehr auf der Waage sorgen. Übrigens: Aspirin und alle anderen Schmerztabletten, die man akut nimmt, also erst dann, wenn der Schädel wirklich brummt, machen nicht dick.

Arzneimittel gegen Zuckerkrankheit

Bei Diabetes ist das Zunehmen besonders unerwünscht, denn die meisten Diabetiker sind ohnehin übergewichtig. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass viele Patienten schon in den ersten Monaten mehrere Kilo zulegen, wenn sie so genannte Insulin-Sensitizer wie etwa den Arzneistoff Pioglitazon bekommen. Mittlerweile ist klar, dass die Appetitsteigerung durch denselben Rezeptor vermittelt wird wie die erwünschte Wirkung, sprich die verbesserte Empfindlichkeit der Körperzellen auf das Hormon Insulin. Und auch bei Insulinspritzen ist die pfundige Nebenwirkung untrennbar mit dem Ziel-Effekt verknüpft: Durch das Hormon wird Zucker wieder vermehrt aus der Blutbahn in die Zellen eingelagert und nicht mehr ungenutzt über die Niere ausgeschieden. Insulin sorgt also dafür, dass das Zuviel an Zucker den Blutgefäßen nicht mehr schaden kann – aber leider eben auch nicht selten für eine Gewichtszunahme, weil der Körper die zugeführte Energie einfach wieder besser verwerten kann.

Medikamente für Epileptiker

Unter den gängigen Mitteln gegen Krampfanfälle (Antikonvulsiva) gibt es einige, die erwiesenermaßen dick machen können, etwa die viel eingesetzte Valproinsäure oder auch Carbamazepin. Das kann gerade deswegen ein Problem sein, weil Epilepsie-Kranke für gewöhnlich davon ausgehen müssen, dass sie ihre Medikamente nicht nur ein paar Monate oder wenige Jahre, sondern ihr ganzes Leben lang nehmen müssen.

Kortison

Kortison und alle verwandten Wirkstoffe machen vor allem in Gesicht und Nacken dick. Der Entzündungshemmer greift in den Fettstoffwechsel ein, steigert den Appetit und verursacht Wassereinlagerungen. Das gilt aber nur für höher dosierte Tabletten und Spritzen. Alle Sprays, Salben, Inhalatoren usw. haben keinen Einfluss aufs Körperfett, da nicht genug Wirkstoff im Blutkreislauf ankommt, um den Effekt herbeizuführen.

Schilddrüsenpräparate

Die so genannten Thyreostatika bewirken, dass die Schilddrüse weniger Hor- mone bildet bzw. freisetzt. Auch diese Mittel können dick machen – allerdings werden sie nur gegeben, wenn es darum geht, ein Zuviel an Schilddrüsenhormonen auszugleichen. Und genau das hat für gewöhnlich vor der Verordnung zu einer starken Gewichtsabnahme geführt. Denn Schilddrüsenhormone kurbeln den Energiestoffwechsel an, Thyreostatika drosseln deswegen den Energieverbrauch.

Was kann ich tun?

Zur Beruhigung zunächst einmal Folgendes: Nur weil ein Mittel statistisch gesehen dick macht, muss das längst nicht bei jeder Patientin der Fall sein. In der Studie zur Kopfschmerz- Prophylaxe war es bei Propranolol nicht mal jeder Zehnte, bei Valproinsäure jeder Vierte, und bei Amitryptilin waren es ungefähr zwei von dreien. Wenn Sie aber ein Medikament im Verdacht haben, Ihre Figur zu ruinieren, ist zunächst das Allerwichtigste: Sprechen Sie mit Ihrer Ärztin oder Ihrem Arzt – setzen Sie es auf keinen Fall auf eigene Faust ab! Das könnte gefährlich werden, Sie nehmen es ja nicht ohne Grund. Auch in Eigenregie statt einer ganzen etwa nur noch eine halbe Tablette zu nehmen, kann riskant sein. Und bringt womöglich gar nichts, da der Dickmacher-Effekt nicht immer im Zusammenhang mit der Dosierung steht.

Besser ist es, wöchentlich Gewicht und Bauchumfang zu notieren, um sich ein objektives Bild zu verschaffen und um besser auf den nächsten Termin in der Praxis vorbereitet zu sein. „Glücklicherweise haben Mediziner heute ein viel größeres Bewusstsein für das Problem als noch vor ein paar Jahren“, sagt Psychiater Dr. Markus Wittmann. Seine Strategie: „Von Anfang an genau hinsehen und nicht erst dann gegensteuern, wenn der Patient schon zehn Kilo zugenommen hat.“ Das geht unter anderem mit Ernährungs- und Bewegungsprogrammen. Manchmal muss man aber auch das Präparat wechseln. Bei Antidepressiva und Epilepsie-Mitteln gibt es dann sogar Alternativen, die tendenziell dünner machen.

 

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