Diclofenac-Update

Allgemein Schon gewusst?

Diclofenac

Als ich Mitte der 1990er Jahre anfing in der Apotheke, war Diclofenac – einer der bekanntesten Schmerz- und Entzündungshemmer – noch verschreibungspflichtig. Heute sind Tabletten zumindest in Dosierungen bis 75 Milligramm am Tag und für den Bedarf von maximal vier Tagen rezeptfrei zu haben. Jetzt kündigt Schweden an, Tabletten, Kapseln und Co. im kommenden Jahr wieder verschreibungspflichtig machen zu wollen. Was ist da los?

Diclofenac kurz vorgestellt

Diclofenac, kurz „Diclo“, gehört neben ASS (Acetylsalicylsäure, z.B. in Aspirin), Ibuprofen und Naproxen zu den rezeptfreien Schmerz- und Entzündungshemmern. Diese so genannten NSARs oder nicht-steroidalen Antirheumatika wirken grundsätzlich alle auf dieselbe Weise: Sie hemmen vor allem ein Enzym namens Cyclooxygenase, das für die Bildung von so genannten Prostaglandinen gebraucht wird.

Prostaglandine mischen im Körper an sehr vielen Stellen mit. Unter anderem verstärken sie die Schmerzwahrnehmung. Und sorgen dafür, dass das Gehirn die Körpertemperatur höher als normal einstellt, uns also auf „Fieber“ programmiert. Außerdem sind Prostaglandine so genannte Entzündungsmediatoren: Indem sie an die entsprechenden Rezeptoren andocken, entstehen die typischen Symptome wie Rötungen, Schwellungen und Schmerzen. Durch die NSARs wird all das unterbrochen. Das bedeutet: Aspirin und Co. lindern nicht bloß Kopf- oder Rückenschmerzen, sie reduzieren auch Entzündungen und senken die erhöhte Körpertemperatur. Nur Paracetamol, ein weiteres rezeptfreies Mittel gegen Schmerzen und Fieber, hat einen etwas anderen Wirkmechanismus. Die entzündungshemmende Komponente fehlt fast ganz.

Diclofenac und Ibuprofen sind vergleichbar

Diclofenac ist in der Selbstmedikation vom Einsatzgebiet her vergleichbar mit Ibuprofen und dabei etwas stärker und länger wirksam. Es kommt vor allem dann zum Zug, wenn entzündliche Prozesse mit im Spiel sind. Das ist beispielsweise bei Zahnschmerzen, aber auch bei Schmerzen am Bewegungsapparat sehr oft der Fall. Diclofenac ist – vor allem in höheren Dosierungen – das Mittel der Ärzte. Orthopäden und Rheumatologen zum Beispiel verschreiben reichlich davon. Sympathisch finde ich daran, dass man nur ganz wenig davon braucht. Mit 12,5 Milligramm kann man schon viel erreichen, während man bei ASS und Paracetamol mit 500 einsteigt und bei Ibuprofen mit 200 Milligramm.

Aber jetzt kommt es: Im vergangenen Jahr wies eine wirklich riesengroße dänische Studie (über sechs Millionen Teilnehmer!) ein im Vergleich zu den anderen NSARs größeres Herz-Kreislauf-Risiko nach. Es geht also um Risiken wie Schlaganfall oder Herzinfarkt sowie andere Herzprobleme. Und zwar auch unter niedrigen Dosierungen, also mit weniger als 100 Milligramm pro Tag, und bei kurzer Behandlungsdauer. Also praktisch unter den Bedingungen, die die Selbstmedikation zur Zeit zulässt.

Schweden ist das Vorzeige-Land in Sachen Umweltbewusstsein bei Arzneimitteln

Die Autoren forderten schon damals die Wiedereinführung der Verschreibungspflicht. Und das hat Schweden jetzt umgesetzt: Ab Juni 2020 sollen Tabletten und Kapseln unabhängig von der Dosierung verschreibungspflichtig sein, kündigte die schwedische Arzneimittelbehörde Läkemedelsverket Anfang des Monats an.

Und warum geht gerade Schweden voran? Ich habe da diese Vermutung (vielleicht ist es auch nur Wunschdenken): Möglicherweise hat es auch damit zu tun, dass Diclofenac in punkto Umweltverträglichkeit hochproblematisch, und Schweden das Vorzeige-Land in Sachen Umweltbewusstsein bei Arzneimitteln ist. Es gibt dort eine Datenbank, in der jedermann Informationen zur Umweltverträglichkeit („Miljöinfo“) eines Arzneistoffs einsehen kann (unter fass.se): Wie giftig ist er? Wie sehr neigt er dazu, sich in Lebewesen anzureichern? Wie schnell zerfällt er?

Und wieso gibt es so eine Datenbank nur auf Schwedisch, und nicht im englisch- oder deutschprachigen Raum? Das dürfte weniger mit der Naturverbundenheit der Schweden zu tun haben, als mit der Tatsache, dass es dort über viele Jahre hinweg ein staatliches Apothekenmonopol gab. Man konnte also ganz anders an einem Strang ziehen als etwa hierzulande. Hinter der Datenbank steht ein Zusammenschluss zahlreicher Institutionen des schwedischen Gesundheitssystems – inklusive der bis 2009 staatlichen Apotheken.

Diclofenac: für die Umwelt das schlechteste NSAR

Auch hierzulande ist vielen klar, dass Diclofenac unter den Schmerz- und Entzündungshemmern besonders problematisch ist. Denn er gehört zu den Arzneistoffen, die schon vor Jahren vom Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen (LANUV) als „hinsichtlich seiner ökotoxikologischen Wirkungen umweltrelevant“ benannt worden, auf Basis einer umfangreichen Literaturrecherche von 2007 . Genau wie die Antibiotika Ciprofloxacin, Clarithromycin, Erythromycin und Sulfamethoxazol, das oben genannte Carbamazepin und 17-alpha-Ethinylestradiol, das Östrogen, das viel in der Pille verwendet wird. Diclofenac greift die Niere von Fischen an. In Indien hat der Arzneistoff bestimmte Geierarten nahezu ausgerottet, weil die Vögel Fleisch von Rindern fraßen, die damit behandelt worden waren. Darum befürwortet auch das Umweltbundesamt die erneute Rezeptpflicht schon für niedrig dosierte Tabletten.

Darauf will ich nicht warten. Wenn ich Zahnschmerzen, Knieschmerzen oder „Rücken“ hätte – ich würde es immer erstmal mit Ibuprofen statt mit Diclofenac versuchen. Allein schon der Umwelt zuliebe.

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